Ein Abend der Gegensätze: ewig Unverbesserliche demonstrieren in Berlin gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung, bis die Polizei die Demonstration unter lautem Protest endlich auflöst. Ganz anders 10km weiter am Sport Centrum Siemensstadt kurz vor Spandau: Hier treffen sich jeweils 100 StarterInnen für den 7. Berliner Vollmond-Marathon und den 5. Berliner Vollmond-Halbmarathon. Mit Mundschutz, Abstand, Hand-Desinfektion, deutlich getrennten Startzeiten und innerhalb der beiden Veranstaltungen nochmal Rolling-Starts im 2-Minuten-Takt.
Auf der Tartan-Bahn des Sport Centrums geht es mit Maske los und einigermaßen geschlossen bis zur ersten Ampel. Dort regelt die Polizei eine sichere Straßenüberquerung – und prompt übersieht der Läufer vor mir den Rechtspfeil und macht geradeaus weiter. Kurzer Hinweis, kurzer Dank und das Gefühl, dass sich der Track auf der Uhr heute noch bezahlt machen wird. Letzteres bestätigt sich gleich am Tegeler See, den wir auf der Marathon-Strecke umrunden. Es ist drückend heiß. Der heißeste Tag seit langem. Entsprechend voll sind die Badestrände und die LäuferInnen parcouren über den sandigen Weg zwischen Menschenmassen (Abstand anyone?!), Fahrrädern, Hunden und Karren. Da übersieht man die eigentlich gut angebrachten Sprühpfeile und Flatterbänder schnell mal. Track auf Uhr = gute Idee!
Irgendwann wird es entspannter weil weniger Menschen und es bleibt zum Glück schattig. Trotzdem machen sich wegen der Hitze bei mehreren LäuferInnen Magenbeschwerden breit. Ich bin überrascht, dass es sich ziemlich locker wegläuft und ich konstant knapp unter 5er Pace bleibe. Dass uns erstaunlich viele Passanten und vor allem KleingartenbesitzerInnen als Wettkampfteilnehmende erkennen und anfeuern, ist noch umso motivierender.
Mein persönliches Gorgoroth (Tolkien, nicht Black Metal – ihr wisst schon: desolate Einöde, abweisend und karg) wartet in der zweiten Hälfte. Wir wechseln auf die Westseite der Havel und der angenehme Boden wird zu Asphalt. Laufe ich nicht gerne und kenne ich von Rennrad-Touren leider auswendig. Da kommen einem die Kilometer gleich doppelt so lang vor. Dazu bleibt es drückend, das klassische Durchhaltegefecht beginnt, das alle Marathon-LäuferInnen kennen. Und wo bleibt eigentlich die nächste Getränkestelle? Der Mund wird klebrig trocken, der Puls steigt. Hier wäre eine VP mehr Gold gewesen.
Spandau. Hier verfranst man sich gerne, hieß es. Hin und her, rechts und links, Haken und Schlaufen. Es mag an meiner Kaputtheit liegen, aber ich checke den Track jetzt ständig, da nicht alle Pfeile leicht zu sehen sind. Plötzlich taucht ein offener Platz am Wasser auf. Es gibt Musik und wird getanzt – und wir müssen mitten durch. Na toll, auch das noch. Aber kaum läuft jemand in die Nähe, gibt es lauten Applaus. What?! Wie geil ist das denn! Die nächsten 100 Meter sind beflügelt, danach geht es weiter durchs mentale Gorgoroth, bis endlich die letzte VP auftaucht und ich am liebsten literweise trinken würde.
Ab jetzt durchhalten, der Weg wird nachvollziehbarer, irgendwann kommt der vom Hinweg bekannte Stich vom Kanal zum Sport Centrum. Nach etwas über 43km in 3:40h ist Schluss. Bäm. Der erste Wettkampf seit einem halben Jahr ist durch. Glücklich, im Eimer, AK Platz 2, gesamt Platz 9. Sitzen, atmen, trinken, essen, erholen. Nach und nach tröpfeln die nächsten LäuferInnen ein. Einige sehen verdammt mitgenommen aus, der eine oder andere Magen wird am nächsten Busch geleert oder wurde es schon unterwegs. „Sie sind doch Ärztin – können Sie sich bitte mal die Läuferin dort ansehen?“, wird eine Freundin kurz nach Zieleinlauf von der Orga angesprochen. Die Hitze fordert ihren Tribut.
Und trotzdem: Endlich wieder ein offizieller Lauf! Und ein Musterbeispiel, wie man während Corona ein effektives Sicherheitskonzept und trotzdem einen tollen Lauf organisieren kann. Ein ungewöhnlicher Vollmond-Marathon, an den man sich noch eine Weile erinnern wird.
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