„Also, wenn sie noch weiter laufen wollen als bis Adam und Eva, vielleicht noch bis zum Lauensteiner Kopf und dann auf der anderen Seite zurück – da sind Sie sicher 20 Kilometer unterwegs. Aber Sie haben ja meine Telefonnummer. Zur Not sammel ich Sie irgendwo ein.“ Ich muss ein wenig schmunzeln unter der FFP2-Maske, als der Platzwart am Campingplatz Rattenfängerplatz dieses Rettungsangebot macht. Ich sage ihm nicht, dass ich das Vierfache plane. Den 81 km langen Ith Hills Weg. Alleine. Keine externe Versorgung – you want it, you bring it.
Interessant ist dieser kurze Reality Check aber trotzdem. Wir leben und trainieren in unseren Bubbles – und in meiner dreht sich viel um Sport. Da läuft man 20 km im Mittelgebirge auch schonmal vor dem Frühstück. Oder fährt mit dem Rad mal nach Dresden. Normal. Normal? Aber letztlich bin ich genau deshalb hier. Nachdem wieder die komplette Frühlings- und Sommerplanung von Corona-bedingten Wettkampfabsagen und -verschiebungen durcheinander gewirbelt wurde, musste ein Highlight her. Und wenn ich es halt selber organisieren muss. Aber wenn schon selber, dann richtig. Solo. Ohne Begleitung, ohne Support, ohne mentale Unterstützung.
Mein längster Solo Run bisher waren 60 km. Das war zäh. Ich denke daran, als ich um 6h morgens starte. Der Weg ist mental in 4 Stücke á 20 km aufgeteilt. Ich möchte so viel wie möglich im Jetzt bleiben, den Lauf genießen so lange es geht. Dafür ist das Gebiet um den Ith bestens geeignet. Es geht gleich steil hoch zu Adam und Eva, danach im konstanten Hoch und Runter über einen 30-40 cm schmalen Pfad vorbei an Kletterfelsen, über stark verwurzeltes und felsiges Gelände, immer begleitet vom blühenden Bärlauch. Genau so habe ich den Weg in Erinnerung. Ein Traum.
Nach der L425 wird es noch enger. Ständig liegen umgestürzte Bäume auf dem Weg und es bleibt wie überall heute extrem matschig. Das geht nicht nur derbe in die Beine, sondern frisst auch Zeit. Als irgendwann endlich mehr als 500 Meter einfach zu laufen sind, ist es für den Kopf eine Befreiung – die Beine müssen sich noch mit dieser seltsamen Bewegung anfreunden.
Der Ith Höhenzug geht rund 25 km bis zu den Ithwiesen und wechselt dann mehr zu Wald und Hügeln. Mehr Wald = mehr Matsch. Die robusten Schuhe waren genau die richtige Wahl. Ab jetzt ist es laufbarer und weniger steil. Das Auf und Ab allerdings bleibt. Und die Schönheit des Tracks zum Glück auch.
Allmählich wird die Laufweste leichter, die Vorräte werden weniger, das Wasser muss unterwegs bei rasenmähenden oder autowaschenden Menschen aufgefüllt werden und die erste Hälfte der Distanz bleibe ich tatsächlich komplett im Jetzt, im Lauf. Danach wird es schwerer. Der Körper ist müde, der Kopf fängt an zu rechnen. Aber genau das war ja ein Teil des Versuches: kriege ich mich wieder eingefangen und zurückgeholt? Es klappt tatsächlich ganz gut – auch wenn die Beine immer schwerer werden.
Als ich nach rund 11 Stunden endlich beim Start/Ziel einlaufe, fühle ich mich seltsam. Das Hochgefühl des Zielbogens ist nicht da. Keine hochgereckten Arme beim magischen Schritt über die Zeitnahme. Ich stoppe einfach die Uhr, versuche mich hinzuhocken aber die Beine krampfen. Nein, einfach war der Lauf nicht. 2.400 Höhenmeter, Matsch, viele technische Stellen. Was bleibt ist Ruhe. Keine Menschenseele weit und breit. Erleichterung, Stolz, Zufriedenheit.
Mit Verpflegungsstellen geht es leichter, Mitstreitende und Mitleidende machen es kurzweiliger – aber es geht auch ohne. Es war eine interessante Reise ins Ich und mit mir. Mal sehen, wann der erste Solo-100er ansteht. So bald nicht…aber kommen wird er bestimmt.
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