Ich mag Regen nicht. Nicht beim Radfahren, nicht beim Wandern, nicht beim Laufen. Aber wenn es mal regnet, dann ist es halt so. Und wer viel draußen ist, kommt auch mal in den Regen. Blöd ists, wenn das dauernd passiert. Und bevor jetzt jemand diesen Spruch mit dem schlechten Wetter und der Kleidung bringt: Vorsicht! Das gibt sofort Blog-Verbot!
Nachdem wir vor ein paar Jahren beim Wandern von der Isle of Skye gespült wurden und ich das Nordkapp im harten Dauerregen kennengelernt habe, waren die letzten Trailrunning-Jahre wettertechnisch ziemlich entspannt. Irgendwie hat es immer grob gepasst. Ich brauchte und hatte nur eine Regenjacke und die war so leicht, dass sie prima in die Pflichtausrüstung von Bergwettkämpfen passte. Beim Transalpine Run 2019 kam sie dann so schnell an ihre Grenzen, dass ich fast Erfrierungen bekommen hätte. Wirklich gut war sie wohl nicht. Nur wirklich teuer.
Uuuund – BÄM! Schon ist das nächste verflixte Corona-Jahr vorbei. Hätte im März 2020 auch niemand gedacht, dass die Scheiße uns so lange umtreiben würde. Ist ein bisschen wie einer dieser Ultras, bei denen einfach mal alles nicht passt. Ab und zu ein Stück das gut läuft, ansonsten alles ziemlich zäh. Es regnet, der Schuh ist mit Matsch vollgelaufen, der Downhill war zu rutschig, um wirklich Spaß zu machen und der Anstieg… ach, auch egal.
2x hatte ich das dieses Jahr auch tatsächlich bei einem Ultratrail-Wettkampf: Beim Südthüringen Trail hat mich das schwüle Wetter mit stundenlangem Dauerregen und Nebel fertig gemacht. Beim Restonica Trail auf Korsika bin ich erkältet gestartet. Ja: war ne blöde Idee, musste aber sein für den lieben Seelenfrieden. Bei den beiden Läufen habe ich nicht stolz oder genießend auf die bereits gelaufenen, schönen Kilometer zurückblicken können – da war zu viel emotionale und später auch körperliche Teergrube.
Was für ein schöner Ort: nach steilem bergauf, bergauf, bergauf ein kleines, schattiges Pinienplateau. Die Felsen, auf denen der bärtige Läufer sitzt, sind einladend wie ein Sofa.
Seit 2h Stunden schon habe ich fast konstant Krämpfe in so ziemlich allen Beinmuskeln, die man als Nichtmediziner kennt: Waden, vordere Oberschenkel, hintere Oberschenkel, das Zeug an der Seite. Ich will mich zu ihm setzen, aber sofort gehen die Muskeln in rigoroses Kontra. „Take my seat. It‘s a good seat“, sagt der Läufer und rückt ein wenig. Wir laufen beide nach gutem Start mittlerweile in der Invalidenabteilung des Restonica Trail 2021.
Das war anders geplant. Sehr anders. Was für Zeiten wären machbar? Was würde die Taktik sein beim ersten großen, internationalen Trailrun Wettkampf seit über 1,5 Jahren? 3 Tage vor Start ist das plötzlich egal. Sommererkältung. Ich fliege trotzdem mit einem Laufkumpel rüber – mindestens anfeuern würde ich ihn.
„Das Klima in Neuhaus ist sehr rau mit sehr schneereichen Wintern und kalten, feuchten Sommern. Der Ort hält seit Mai 1996 mit 242 Stunden (zehn Tagen) den deutschen Rekord der längsten durchgängigen Nebelperiode.“ Sagt Wikipedia. Wie gut, dass wir Neuhaus für die nächsten drei Tag zu unserem Headquarter gemacht haben. Der Plan für das dank Tag der Deutschen Einheit lange Wochenendes: Die rund 90 Kilometer vom Rennsteig laufen, die uns nach dem Rennsteig Supermarathon noch fehlen, dann einen Tag erholen. Anschließend am Sonntag den 29. Rennsteig Herbstlauf mitnehmen und damit Rennsteig³ und den Rennsteig einfach mal überhaupt abhaken.
Klingt toll – bis wir am Feiertag um 6:30 am überraschend vollen Bahnsteig stehen. Was wollen die alle hier um diese Zeit? Und warum ist es eigentlich so kalt?
Rund 5h später laufen wir endlich – dem vorausgesagten Regen-WE entgegen. 2 Berliner, die in den Laufrucksäcken ausnahmsweise mal auch Zahnbürste, Kabel, Adapter und ein warmes Vlies für den Abend haben.
Vor 7 Tagen saß ich genau jetzt in einem Reisebus von Sulden in Südtirol nach München. Es regnete. Wir fuhren durch die Berge. Hinter mir lagen 8 Tage Laufen. Durch die Alpen. Der legendäre Transalpine Run. 8 Tage, rund 280 Kilometer, etwa 16.000 Höhenmeter im 2er-Team. Sonnenbrand, Muskelkater, Regentage, Schneematsch, unsagbare Schönheit, dramatisches Gewitter – viel zu viele Eindrücke von einem Ausbruch aus dem Alltag und einem Einbruch ins Abenteuer (hier das komplette Tagebuch zu allen Etappen). Der müde Kopf am Fenster des Busses kommt nur langsam nach, das alles zu verarbeiten.
Jetzt, 7 Tage später, eine Arbeitswoche später, wirkt das Abenteuer TAR fast schon surreal in der Erinnerung. Surreal, ja, aber es hallt nach. Nachhaltig.
Was bleibt von den 8 Lauftagen? Neben Trittsicherheit und hervorragender Auge-Stock-Koordination? Es gab viele Lehrstunden – diese 7 werden mit Sicherheit präsent bleiben:
Das Team ist nur so gut, wie die Kommunikation und der gegenseitige Respekt.
Wie du deine Mitmenschen behandelst, so werden sie dich behandeln.
Es geht um dich, die Strecke, das Miteinander. Dein Job, dein sozialer Status, deine Herkunft sind irrelevant.
Vertrau dir. In dir steckt viel mehr, als du denkst. Wenn du aber an deine Grenzen kommst, hör auf. Die Berge verzeihen keine Fehler.
Sei zufrieden. Leistung ist relativ: es wird immer jemand schneller und jemand langsamer sein als du.
Auch nach dem schlimmsten Tag kommt ein neuer, besserer Morgen.
Realität und Alltag sind Konstrukte, die wir aufbauen und uns darin einrichten. Dabei gibt es genügend Abenteuer da draußen. Wir müssen nur die Tür öffnen und losgehen.
Letztlich ist der Transalpine Run auch nur ein Trailrun. Ein langer Trailrun. Ein Wettkampf. Ein langer Wettkampf. Man kann danach wieder nach Hause fahren und ihn als schönes Westentaschenerlebnis abtun. Aber das gelingt fast niemandem. Wir kommen nach Hause und es hallt nach. Hoffentlich möglichst lange.
„Warum läufst du eigentlich nicht beim Transalpine Run mit?“ „Steht für 2020 auf dem Zettel. 2019 sind Einzelstrecken Programm.“ „Aber ein gemeinsamer Freund kann doch nicht starten und jetzt ist sein Team-Platz frei. Wollen wir beide das übernehmen?“ Und ewig lockt der Leichtsinn.
Der Lauf ist in 2 Wochen.
Spezifische Vorbereitungszeit: keine Erfahrung mit der Laufpartnerin: fast keine
„Sorry guys, sorry guys.“ Vom winzigen Hamperokken-Gipfel auf 1404 Metern geht es senkrecht runter. Ein Kletterseil als Hilfe – nicht als Sicherung. Der Italiener vor mir ist kurz vor Panik, kurz vor Starre. „Easy man, take your time. No hurry. We all want to get down alive.“ Zitternd schiebt er einen Fuß vor den anderen, krallt sich am Felsen fest. Es sind etwa 20 Meter, bis die Bergspitze sich minimal weitet, das Seil endet. Er schafft es. Stützt sich an die Felswand. Bleich. Atmung kurz vor Hyperventilation. „Do you need anything? Do you have water?“ Er nickt, winkt ab. Wir steigen weiter runter.
Die nächsten rund 800 Höhenmeter abwärts denke ich öfter an ihn. Er wird sich nur noch nach Hause wünschen, denn der Abstieg besteht ausschließlich aus rutschigem Sand, Steinen und immer wieder Felsspitzen. Keine Absturzgefahr, aber fiese Knochenbrechsturzgefahr. Mich schmeißt es nach der Hälfte. Schwerpunkt runter, auf dem Arsch landen. Alles gut. „Falling here is easy, it‘s perhaps the most technical part,“ muntert mich ein Norweger auf, nachdem er sich versichert hat, dass ich ok bin. Er macht den Harakiri-Abstieg schneller als ich. Stürzt selber 3 Minuten später. Rutscht. Rappelt sich auf. Weiter. Ich will nur noch von diesem verdammten Berg runter.
Als wir endlich am wunderschönen Bergsee ankommen denke ich an die erste Hälfte des Tromsø Skyrace. Da dachte ich schon, ich hätte verstanden, was mit „extremely technical“ gemeint war. Nach weniger als 3 km durch Tromsø geht es einen schönen Trail zur Seilbahnstation hoch, von dort weiter auf den Bønntuva. Bevor wir oben sind, passieren wir das erste endlose wirkende Geröllfeld. Aufpassen, bevor es wieder flowig wird. Leichte Trails, downhill, Fersengas. Eine Freude. Dann der nächste Anstieg. Immer weiter. Steil. Es wird tatsächlich eng mit der Cut Off Zeit. Das ist ein bisher unbekanntes Gefühl. Und es geht immer weiter hoch.
4 Tage lang sind wir schon unterwegs. Zelt, Schlafsack, Verpflegung in den Rucksäcken. Wir sind am Nordkap gestartet, den Europäischen Fernwanderweg E1 runter. Seit 4 Tagen regnet es. Alles ist nass. Selbst die Taschentücher in der Plastiktüte in der tiefsten Mitte des wasserdicht verpackten Rucksacks. Die ersten Flussdurchquerungen waren noch aufregende Ärgernisse, die ersten wadentiefen Moraste waren noch Grund zum Fluchen. Sie wurden normal. Nach Tag 1 ist die 4er-Gruppe um 1 Person geschrumpft. #4 ist nicht fit genug, bricht ab, so lange noch die einzige Straße hier oben erreichbar ist.
Wilder, leerer, unwirtlicher als die weite Steppe am Nordkap wird es in Europa nicht. „Wahnsinnig schön hier. Glaube ich. Ich sehe halt nichts.“ Das Zitat vom 1. Tag im dichten Nebel hallt mental noch lange nach. Wenn der Regen mal aufhört, zeigt sich Nordnorwegen in seiner schönsten Pracht. Unberührte Natur. Traumhafte Weite. Wildlaufende Rentierherden – dann wieder stundenlang nicht mal ein Vogel. Auch kein Baum. Kein Pfad. Kein Vogel. Nichts.