Der Föhnwind pfeift um die kleine, private Sennerhütte in den Bayerischen Voralpen, irgendwo zwischen Lenggries und Bayerischzell. Eine Krähe krächzt – sonst ist nichts hören, während es langsam hell wird hinter der Bergkette. Es ist der 2. Tag des Bergzeit Alpincamp in Kooperation mit Black Diamond. Und dieser Tag muss sich verdammt anstrengen, wenn er Tag 1 noch übertreffen möchte.
Schlagwort: Alpen
Kühe vor traumhaftem Bergpanorama, ein malerischer Bergrücken mit Hof unter strahlend blauem Himmel – was habe ich es vermisst, in den Bergen Trails zu laufen. Aber mit Pippi in den Augen läuft es sich schlecht. Heißt es. Und das stimmt auch. Also Fokus auf den Weg, denn der Track bleibt nur kurz auf Wirtschaftswegen und nimmt jede Steigung, jeden Gipfel, jede technische Passage mit. Kein Wunder, dass die von Tourismus Lenggries veröffentlichte Hirschbachtalumrundung als schwarze Wanderroute gilt und alpine Erfahrung und Schwindelfreiheit voraussetzt.
Vor 7 Tagen saß ich genau jetzt in einem Reisebus von Sulden in Südtirol nach München. Es regnete. Wir fuhren durch die Berge. Hinter mir lagen 8 Tage Laufen. Durch die Alpen. Der legendäre Transalpine Run. 8 Tage, rund 280 Kilometer, etwa 16.000 Höhenmeter im 2er-Team. Sonnenbrand, Muskelkater, Regentage, Schneematsch, unsagbare Schönheit, dramatisches Gewitter – viel zu viele Eindrücke von einem Ausbruch aus dem Alltag und einem Einbruch ins Abenteuer (hier das komplette Tagebuch zu allen Etappen). Der müde Kopf am Fenster des Busses kommt nur langsam nach, das alles zu verarbeiten.
Jetzt, 7 Tage später, eine Arbeitswoche später, wirkt das Abenteuer TAR fast schon surreal in der Erinnerung. Surreal, ja, aber es hallt nach. Nachhaltig.
Was bleibt von den 8 Lauftagen? Neben Trittsicherheit und hervorragender Auge-Stock-Koordination? Es gab viele Lehrstunden – diese 7 werden mit Sicherheit präsent bleiben:
- Das Team ist nur so gut, wie die Kommunikation und der gegenseitige Respekt.
- Wie du deine Mitmenschen behandelst, so werden sie dich behandeln.
- Es geht um dich, die Strecke, das Miteinander. Dein Job, dein sozialer Status, deine Herkunft sind irrelevant.
- Vertrau dir. In dir steckt viel mehr, als du denkst. Wenn du aber an deine Grenzen kommst, hör auf. Die Berge verzeihen keine Fehler.
- Sei zufrieden. Leistung ist relativ: es wird immer jemand schneller und jemand langsamer sein als du.
- Auch nach dem schlimmsten Tag kommt ein neuer, besserer Morgen.
- Realität und Alltag sind Konstrukte, die wir aufbauen und uns darin einrichten. Dabei gibt es genügend Abenteuer da draußen. Wir müssen nur die Tür öffnen und losgehen.
Letztlich ist der Transalpine Run auch nur ein Trailrun. Ein langer Trailrun. Ein Wettkampf. Ein langer Wettkampf. Man kann danach wieder nach Hause fahren und ihn als schönes Westentaschenerlebnis abtun. Aber das gelingt fast niemandem. Wir kommen nach Hause und es hallt nach. Hoffentlich möglichst lange.
Schneefall. Alternativ-Route. Der Ortler – Höhepunkt der Etappe und vielleicht sogar des ganzen Transalpine Run – ist zu gefährlich im Abstieg. Wird die 8. und letzte Etappe der grandiose Zieleinlauf oder lediglich Pflichterfüllung im schlechten Wetter?
Team Quick & Dirty ist, wie viele andere Teams auch, in Sulden untergebracht und muss per Shuttle zum Start der letzten Etappe nach Prad fahren. 6:25. Es ist dunkel. 3 Grad. Regen. Der durchnässte und verfrorene Vortag steckt vielen noch in den Knochen. Die Stimmung ist mies. Zum Glück gibt es heute eine Halle am Start, in der wir uns trocken und warm auf den Start vorbereiten können. „Das ist mein 10. TAR. Bisher war ich immer sentimental am letzten Tag. Heute nicht. Heute will ich es nur noch hinter mich bringen,“ erzählt eine Mitläuferin aus unserer Mixed-Kategorie.
Während wir drinnen sitzen, merken wir nicht, dass draußen der Regen aufhört. Hoffnung während der Startaufstellung. Immerhin nicht im Regen starten. Dieses Mal in langer Hose und gleich mit Regenjacke sind wir einigermaßen vorbereitet – und gespannt auf die Alternativ-Route. Es sollen knapp 26 km und 2.000 Höhenmeter werden.
Ein letztes Mal “Highway To Hell“ um 7:59.
Startschuss.
1 Kilometer Asphalt, dann berghoch. Es wird warm. Es bleibt weiter trocken. Wir steigen und steigen. Durch Wald, Forstweg, Fels, Wiese. 1.000 Meter geht es hoch – Südtirol zeigt seine schönste Gegend.
Val d‘Uina – eine so malerische Gegend, dass man nach dem Regisseur sucht, der dieses Setting in Auftrag gegeben hat. Wir erreichen es nach gut 7 km Asphalt und Gravel auf der 7. Etappe des Transalpine Run. Und sind beeindruckt. Laut Plan und Hoffnung könnten wir dem Regen heute irgendwie entkommen.
Die Stimmung steigt mit dem malerischen Ausblick der Uina Schlucht. Wahnsinn. Eine Lehrstunde in Ehrfurcht.
Leck mich fett – diese Etappe ist, fürs Erste, die härteste für mich. Knapp 41 Kilometer, 2.254 Höhenmeter und 2.839 Meter runter, das Ganze in 5:44 Stunden. Im Gegensatz zu den bisherigen Transalpine Run Etappen habe ich im langen Abstieg heftig Feuer gegeben. Und bin im Ziel komplett zerstört. Mal sehen, wie die Rechnung morgen aussieht.
Dabei fing alles ganz ordentlich an. Harter Regen ist für Samnaun angesagt, aber dem laufen wir mit dem 8-Uhr-Start davon. Es geht – natürlich – hoch. In die Wolken. In die Kälte. Auf den Fuocla Val Gronda mit 2.752 Metern. Mir geht es nicht wirklich gut. Müde. Angeschlagen. Magen. Nach 6km schon der erste VP. Eigentlich nicht nötig, aber trotzdem gut, um etwas Salzstangen, Käse und vor allem Salz zu mir zu nehmen.
Weiter. Weiter hoch. Es läuft besser. Ich komme in mein Rennen. Wir bleiben mehrere Kilometer auf 2.500 Metern Höhe. Fast schon gespenstig der ständige Wechsel aus gehen und laufen im Nebel. Außer Schritten, Stockgeklapper und schwerem Atem hört man nichts.
Sie gilt als Königsetappe des Transalpine Run: Etappe 4 von Landeck nach Samnaun. Rund 46 Kilometer lang mit 2.900 Höhenmetern. Bei gutem Wetter Ausblicke die für ein Bilderbuch zu schön wären. Doch welcher König quält sich den 1.600 Höhenmeter-Anstieg am Anfang hoch?
Nach 5 flachen Kilometern geht es erst durch kleine Dörfer steil hoch, dann durch Wälder und übe Wiesen, vorbei an Almen, über Skihänge, durch die Wolken.
Wir haben 9 Kilometer Zeit, um 1.600 Meter Höhe zu machen. Ausblick galore als wir über die Wolken kommen: umrundet von kargen Felsgipfeln liegt das Tal wie ein großes Schaumbad unter uns. Über uns wartet VP 1. Weiter.
Das gab es in der Transalpine Run Historie auch noch nicht – der Start wird wegen heftiger Gewitterwarnung von 7 auf 9 Uhr verschoben. Als Race Director Martin Hafenmaier das beim allabendlichen Race Briefing ankündigt, ist der Beifall groß. Wir haben alle den Wetterbericht gesehen. Gewitter die ganze Nacht durch. Gewitter am Morgen. Dauerregen danach. Kälteeinbruch. Gehört zum TAR, mag aber trotzdem niemand wirklich. Und ist verdammt gefährlich.
Umso geiler der Blick aus dem Fenster beim Frühstück: Nass, tiefhängende Wolken, aber kein Regen. Heute liegen 41 Kilometer und gut 1.800 Höhenmeter vor uns. Alles wird nass und matschig und deshalb technisch sein. Daher neue Taktik für Team Quick & Dirty: Etwas verhaltener starten, der Berg wird bestimmt nicht gleich ein Trail, danach auf die Technikkarte setzen.
Passt soweit. Wir starten ohne Regen und marschieren nach 2 km in die Wolken rein. Ab 1.600 Metern kommt der Regen. Und der Schweiß. Heute wohl keine Fotos mit wehenden Haaren – alles ist nass. Außer den Füßen zum Glück. Skurril ist, wie oft wir beim 800-Meter-Anstieg Richtung Leutkirchnerhütte überholt werden. Haben die alle noch so viel Kraft an Tag 3? Sind wir so lahm? Oder überschätzen die sich einfach alle?
29 Kilometer, 1.800 Höhenmeter, rutschiges Terrain, Berggewitter vorhergesagt. Der 2. Tag beim Transalpine Run 2019 ist knackig aber großartig.
6 Uhr. Es ist dunkel und kalt, aber trocken. Da wir 2019 die Westroute laufen, geht es heute von Lech nach St Anton. Nur 29 km, dafür 3 VP. Klingt doch alles sehr machbar. Wären da nicht die Höhenmeter und das angekündigte, gefährlich rutschige Terrain. Streckenchef Martin Hafenmaier warnt vor dem vorgezogenen Start erneut: extrem rutschig, besonders in den grasigen Downhills. Passt auf!
Was am Vorabend noch für latente Verwirrung sorgte, funktioniert heute bestens: Startblocks um 7:00, 7:10, 7:20. Team Quick & Dirty bleibt beim Plan vom Vortag: Vollgas am Anfang, dann ab in den Hang, dann mal sehen. Läuft. Etwas mehr als 1 km mit 4:40er Pace, dann Singletrack. Hier wollen es einige wissen und machen ordentlich Druck, während es 900 Meter zu Rüfikopf hochgeht. Ab der 2.000er Marke ist Trittsicherheit gefragt. Es ist zwar nicht sonderlich technisch, aber halt hochalpin. Felsbrocken, rutschige Stellen, gigantische Sicht.
Leichter Sonnenbrand. Beim Serpentinen-Downhill in den Abhang gerollt. Als 3. Mixed Staffel ins Ziel gekommen. Der Transalpine Run 2019 startet bombastisch!
Das spontane gebastelte Team aus dem höchst alpinen Berlin heißt jetzt Quick & Dirty. Finden wir gut. In Oberstdorf angekommen gleich großes Hallo – die Szene ist halt klein. Wir machen nach dem Racebriefing einen Schlachtplan für Tag 1. Wetter soll weltbest werden – bei 350 Teams und 200irgendwas Run2-Teams (die machen nur 2 statt 8 Etappen) dürfte es voll werden. Knapp 1.000 Läufer die alle frisch und hungrig sind.
Plan: Vorne starten, die rund 2,5 km bis zum ersten Anstieg Gas geben, dann in den wahrscheinlich schmalen Trail. Geplant getan, wir bleiben in Sichtweite vom Führungsfahrzeug, der erste Anstieg kommt – breiter Forstweg. Easy. Teamkollegin Lisa läuft salopp vor, ich ziehe nach, Positionierung passt. Sind eh nur gut 200+ Höhenmeter.